In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme. Von der Privatgarage führt eine schmale Treppe direkt in das Zimmer. Die Wände glänzen silbrig, bunte Lichter durchfluten den Raum. Über dem Kingsize-Bett hängt ein runder Spiegel. Per Fernbedienung kann man Temperatur, Musik und verschiedene Lichtstimmungen einstellen: Zauber, Liebe oder Cyber. Ligeiro, Architektin und Motelchefin, führt ins Badezimmer, in der Mitte eine frei stehende Wanne. Die Wände hat sie mit abstrakten, erotischen Malereien gestalten lassen. Sie zeigen lesbische Paare ebenso wie voluminöse Körper oder solche, denen ein Arm fehlt. Man findet kaum einen Brasilianer oder eine Brasilianerin, der oder die nie eines besucht hat. Man schämt sich auch nicht dafür. Rund Motels jeder Preisklasse gibt es in Brasilien, geboten wird alles, vom kargen Kämmerchen bis zum Luxusloft mit Privatpool. In den späten Sechzigerjahren wurden kommerzielle Motels als Bollwerk gegen den Kommunismus von der Militärdiktatur gefördert. Inzwischen haben findige Unternehmer das Motel längst als Unterhaltungsangebot für Paare etabliert: »Warum gehen Sie in ein Restaurant zum Abendessen, obwohl ihr Kühlschrank voll ist? Durch eine Doppeltüre führt sie heraus aus dem Zimmer in den Servicegang, den Backstage-Bereich, den die Gäste nie zu sehen bekommen. Alle paar Meter steht ein Korb mit Laken und Handtüchern. Reinigungskräfte wuseln umher, tragen Geschirr weg. Rechts und links befinden sich Türen, darüber grüne oder rote Lämpchen. Acht der Zimmer sind gerade belegt. Durch Schiebefenster können Speisen und Getränke hineingereicht werden, ohne Blickkontakt, ohne Begegnung mit Fremden. Denn das alte und neue Versprechen der Motels lautet: Was hier passiert, bleibt geheim. Selbst die Garagentüren lassen sich so weit herunterfahren, dass kein Nummernschild mehr zu sehen ist. Motels waren daher immer schon ein wichtiger Rückzugsort auch für homosexuelle Liebschaften in Brasilien. Ein weiterer Gang führt vorbei an alten, ausrangierten Matratzen hinauf ins Büro von Ligeiro, die aus einer Dynastie von Motelbesitzern stammt. Ligeiros Mutter und Bruder stiegen mit ins Familienunternehmen ein, ein Jahr später folgte Ligeiro, auch wenn »das eigentlich nie mein Plan war«. Doch das Geschäft hatte sich stark verändert, sie wurde gebraucht. Sie durfte ein altes Motel der Familie renovieren. Das Versprechen der Motels: Was hier passiert, bleibt geheim. Ligeiro will junge, gebildete und technikaffine Menschen anziehen und versteht sich als LGBTQ-freundlich — oder vielmehr als »inklusiv«. Ein Freund von Ligeiro weicht an diesem Vormittag kaum von ihrer Seite. Er ist Modedesigner — und ihr Social-Media-Beauftragter. Auf TikTok haben bereits mehr als eine Million Menschen das von ihm gepostete Video aus dem Nuu angesehen. Geburtstag feiere! Es kommen aber nicht nur junge Menschen: Am Eingang hält gerade ein grauer Hyundaidarin ein Paar in seinen 50ern, über eine Sprechanlage teilt eine Stimme mit: Hier ist ihr Schlüssel, ihre Suite ist Nummer Der Hyundai verschwindet. Der Anthropologe Souty, der mit »Motel Brazil« ein Buch über das Phänomen geschrieben hat, glaubt, man könne vom Motel aus ziemlich gut die brasilianische Gesellschaft ergründen. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern spiegle sich auch beim Motelbesuch wider. Bereits in den Zwanzigerjahren gab es erste sogenannte »verdächtige Hotels« in den Stadtzentren. Doch erst in den späten Sechzigerjahren beginnt die eigentliche Geschichte der brasilianischen Motels. Die Journalistin aus Rio de Janeiro hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Murilo Fiuza de Melo ein Buch über die Verbindungen zwischen Staatsmacht, Moral und Motel veröffentlicht, »es waren zugleich die schlimmsten und repressivsten Jahre der Diktatur, die auf traditionelle Familienwerte pochte, eine Heuchelei«. Wie passte das alles zusammen? Die Experten sorgten sich, das ländlich geprägte, arme Brasilien könne dem Kommunismus anheimfallen — und rief zur raschen wirtschaftlichen Transformation nach US-Vorbild auf. Im Rahmen einer staatlichen Strategie zur Förderung des Tourismus floss nun massenweise Geld in die Entwicklung von »amerikanischen« Motels für Autofahrer. Das Angebot richtete sich an die Sexkontakte Flamingo Oder So Ähnlich wachsende Mittelklasse, die allerdings ihre eigene Interpretation der Etablissements schuf — einen Ort für ungestörten Sex. Wolldecke im Stundenhotel »Madeira Palace«: Bereits in den Zwanzigerjahren Sexkontakte Flamingo Oder So Ähnlich die ersten »verdächtigen Hotels« in den Stadtzentren. Motels wurden fortan zunehmend an den Stadtrand verbannt: entzog der Staat die finanzielle Förderung ganz.
Login, if you have an account. Am Ende der La Rambla näher am Hafen ist ein Sexshop wo man Kabinen und Peep-Shows finden kann. Während Luciana Ligeiro vom Nuu-Motel auch Experimente wie schwarz geflieste Badezimmer mit Berghain-Flair und miteinander verbindbare Gruppenräume für Partys in Erwägung zieht, versucht Martinez mit seiner neuesten Idee erneut die Quadratur des Kreises: Er war kürzlich in Südkorea, um sich von den dortigen Love Hotels inspirieren lassen — und plant nun in einem Hochhaus in Downtown zusammen mit einem Nachtklub ein weiteres Motel. Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Normalerweise werden diese Huren einen Ort bieten, und er ist im Preis inbegriffen.
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